Argonauten

Bronze auf Eisensockel
Höhe: ca. 1,55 m, Länge: ca. 2,50 m
1988

 

Was sind das für merkwürdige Figuren, die Manfred Loher uns da präsentiert – Astronaturen vielleicht oder Außerirdische? Nein, keine Außerirdischen, vielmehr Argonauten, also jene sagenhaften griechischen Helden, die auf einem Schiff namens Argo unter Führung des strahlenden Königssohns Jason gen Kolchis an der Ostküste des Schwarzen Meeres fahren. Dort wollen sie das Goldene Vließ erobern, ein von einem Drachen bewachtes goldenes Widderfell von unschätzbarem Wert. Doch auch mitsamt seinen tollkühnen Begleitern, darunter Herakles, Orpheus und Theseus, ist Jason nicht imstande, den Kolchern das Goldene Vließ zu entreißen. Er bedarf dazu vielmehr der Zauberkräfte der Königstochter Medea, die in Liebe zu ihm entbrennt. Zusammen mit dem Goldenen Vließ nimmt er sie mit sich in die Heimat, wendet sich jedoch ein paar Jahre später von ihr ab. Und so wird Medea aus enttäuschter Liebe zur Furie und tötet in ihter Raserei ihre eigenen – und Jasons – Kinder. Von seinem Unglück überwältigt, stürzt sich der Held in sein eigenes Schwert.

Der erste Eindruck, den Manfred Lohers Arbeiten erwecken, gibt Rätsel auf. Ob Astro- oder Argonauten – eines ist beiden gemeinsam: Sie sind auf Eroberung aus, auf die Unterwerfung fremder Welten, auf Macht und Reichtum, auf die Erschließung neuer „Ressourcen“. Ferner ist beiden gemeinsam, dass sie die Grenzen der alltäglichen Erfahrungswelt sprengen, um unter Aufbietung gewaltiger Kräfte – gleichsam als Vorreiter der Evolution – in immer neuen Räumen die Spuren ihrer überlegenen Kraft zu hinterlassen.

Manfred Loher setzt in seiner Kunst ganz bewusst bei solch sagenumwobenen Gestalten an, Gestalten der griechischen Mythologie in diesem Fall, Glücksrittern, Machtmenschen, die sich selbst in ein Korsett aus stahl zwängen, um sich den sichtbaren Kosmos mit seinen Schätzen dienstbar zu machen, die sich nicht selten gar über sämtliche Einwände des „Herzens“ und über die Grundsätze der Moral hinwegsetzen, um ihr Ziel zu erreichen.

Diese stählernen Kampfmaschinen, die unbeirrt und ohne Rücksicht auf Verluste ihren Weg gehen, sind Ausgeburten des patriarchalischen Prinzips, des Männlichkeits- und des Machbarkeitswahns. Sie sind ebensosehr Opter wie Nutznießer ihres Machttriebs, dem sie alles andere unterordnen. So wendet sich etwa Jason, indem er Medea erstößt, nicht nur gegen die Frau an seiner Seite, er beraubt sich auch des Zugangs zu den Quellen weiblicher Intuition und Zauberkraft. Zwar gebärdet der strahlende Held sich als Lichtgestalt, doch die Geheimnisse der Nacht, des Unbewussten, allgemeiner gesagt der Kreativität, bleiben ihm verschlossen. Seine Überheblichkeit führt sogar dazu, dass sich die Mächte der Finsternis gegen ihn erheben.

 

Christian Quatmann